Grußwort
Grußwort von Bürgermeister Wolfgang Seitz
In der Weihnachtszeit ist die Pfarrkirche Neunkirchen ein besonderer Anziehungspunkt für viele Besucher aus der Umgegend wegen ihrer Weihnachtskrippe. Die Krippe ragt aus den üblichen Kirchenkrippen der Umgebung heraus wegen des Alters und der Vielzahl der Figuren, sowie deren Originalität; weil sie eine ganze Reihe von Szenen aus der Heilsgeschichte darstellt und wegen der Gestaltung des Geländes, auf dem die Figuren stehen.
Herkunft der Krippe
Nach Meinung der Fachleute ist sie eine Barockkrippe aus der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts. Wie kommt die Krippe nach Neunkirchen ? Bevor Pfarrer M.J. Berberich, ein gebürtiger Neunkirchener, klar gestellt hat, wie sie wirklich hier her kam, gab es die verschiedensten Vermutungen. Die Sachverständigen für die Kunstdenkmäler in Bayern erklären: „Der Tradition zufolge aus einem fränkischen Kloster. Die Arbeit jedenfalls fränkisch.“ Josef Maria Ritz bezeichnet sie als „eine unterfränkische Arbeit des späten 18. Jahrhunderts.“ Eine handschriftliche Notiz des Amorbacher Heimatforschers Max Walter lässt sie in Thüringen entstanden sein.
Alle Ansichten haben sich als bloße Vermutung, die falsch sind, herausgestellt, spätestens seit Berberich 1949 eine Eintragung aus dem Neunkirchener Verkündbuch vom 25. Dez. 1871 bekannt gemacht hat, in der es heißt: „Die um 280 fl. Zu München gekaufte Krippe wurde heute zum ersten Mal aufgestellt.! Allerdings haben sich in dem betreffenden Satz bei Berberich gleich zwei Druckfehler eingeschlichen: Statt 1871 heißt es dort 1781 und statt 280 fl.stehen dort 283 fl. (fl. = Gulden). Gerade letztere Angabe hat inzwischen Eingang in zahlreiche Zeitungsveröffentlichungen gefunden.
Der damalige Neunkirchener Bürgermeister Andreas Weimer, der gleichzeitig Abgeordneter des Bayerischen Landtags war, hat die Krippe von einer Münchner Familie Diemer erworben und sie seiner Heimatpfarrkirche zum Geschenk gemacht. Eine Photographie des früheren Besitzers haben die Nachkommen Weimers, die Familie Bleifuß, noch in ihrem Besitz. Bei der Krippe selbst erinnern die Sand- und Sägemehl gefüllten Geldsäcke des Geldwechslers vor dem Tempel (vgl. Mt 21,12 / Mk 11, 13 / Lk 18, 45 / Joh 2, 13) an diesen Vorbesitzer. Ein Teil der Säcke nämlich mit den Initialen „AD“ in einem grünen Kranz, andere, mit Wäschetinte aufgeschrieben, „AD 1871“, ein Sack zeigt die Aufschrift „AD 18 – zunehmende Mondsichel – 70“; die kleineren Säcke auf dem Tisch vor dem Wechsler zeigen die Inschrift „ID 1866“ mit einem Herz. Pfarrer Josef Dosch schreibt zu diesem Verkauf: „Der geringe Kaufpreis ist dadurch zu erklären, dass die Krippen, wie alle Kunstwerke, gegen Ende des 19. Jahrhunderts in ihrer Schätzung außerordentlich verloren. Nur so konnte man in jener Zeit für verhältnismäßigwenig Geld zu so wertvollen Kunstgegenständen kommen und nur diesen Umstand verdanken die Neunkirchener den Besitz ihrer schönen und künstlerisch wertvollen Krippe.“ Dieser Gedankengang wurde von einer anderen Veröffentlichung über Krippen in Franken übernommen.
Die Gesamtszene:
Die Krippe wird am Marienaltar aufgebaut, dessen Mensa durch ein Gerüst aus Holzböcken und –platten erheblich vergrößert wird. Der Aufbau reicht bis in den Aufgang zur Kanzel hinein. Das erlaubt es, die Krippe nicht nur von vorn, sondern auch von der rechten Seite her zu betrachten. Dieser Seitenblick ermöglicht eine andere, zusätzliche Perspektive, insbesondere auf die Hirtenszene. Früher stand auf dieser rechten Seite, durch einen Vorhang vom übrigen Geschehen getrennt, auch die „Hochzeit zu Kana“, die neuerdings gegen die nicht mehr benutzte Kanzel zu aufgebaut ist. Die Krippe setzt sich aus den verschiedensten Architekturszenen zusammen. Den Hintergrund bilden Gebäudeteile der Stadt Jerusalem, bei denen nur die Schauseite voll ausgebildet ist. Es sind Phantasiegebilde, wie z.B. eine Pyramide, aber auch ein runder, zinnenbewehrter Turm. Wiederum dahinter wird traditionell mit Fichtenzweigen ein Wald angedeutet. Vor den Gebäudeteilen der Stadt Jerusalem stehen zahlreiche Stadtbewohner und schauen aus ihrer Höhe auf die Szenen in der Ebene hinunter. Die Höhe der Stadt ist durch zwei Rampen mit der Ebene verbunden, die den Stall von Betlehem einrahmen.
Architekturteile und Figuren erlauben das Aufstellen einer Reihe von Szenen. Dabei wird nicht nur das Geschehen im Stall in der Hl. Nacht dargestellt. Darüber hinaus können noch veranschaulich werden: Die Verkündigung des Engels an die Hirten, die Anbetung der Weisen aus dem Morgenland, die Flucht nach Ägypten, das Leben der hl. Familie im Haus zu Nazaret, die Beratung des hohen Rates auf Veranlassung des Herodes, die Hochzeit zu Kana und die Darstellung im Tempel. Alle Szenen sind von Anfang an aufgebaut und so zu Weihnachten bis zum Fest „Darstellung des Herrn“ zu sehen.
Geburt im Stall – Verkündigung an die Hirten:
Die Weihnachtsszene zeigt den Stall, bekrönt von einem Kranz von kleinen Engeln, in deren Mitte ein großer Engel mit dem Schriftband „Gloria in excelsis Deo“ schwebt, sowie die Hirtenszene, die in deutlicher Entfernung vom Stall aufgestellt ist. Die Hirten, inmitten ihrer Schafe, lauschen einem weiteren Engel, der, über einem Baum schwebend, ihnen die frohe Botschaft bringt. Die Wege, die in der Nähe des Stalles ziehen, sind von einigen Wanderern und Händlern aus Jerusalem, einigen Reitern, sowie einem Trupp von sechs Soldaten mit Brustharnisch und blauen Uniformen, geführt von einem Offizier, belebt.
Die Weisen aus dem Morgenland – Die Flucht nach Ägypten:
Die Figuren der Weisen aus dem Morgenland („Drei Könige“) sind mit ihrem überaus zahlreichen und prächtigen Gefolge aufgestellt. Die Geschenke von Gold, Weihrauch und Myrrhe, in goldenen Gefäßen und Schatullen, sind bereits vor der Krippe abgestellt. Die drei Weisen tragen kostbare, mit Perlen verzierte Turbane und Gewänder mit langen Schleppen; jeder hat eine Fahne in der Hand. Danach kommen die höher gestellten Begleiter, ebenfalls in prächtigen Gewändern, danach Mohren, ihrer Gestalt nach wesentlich kleiner, als Dienerschaft. Selbstverständlich fehlt auch ein Kamel mit Reiter und Führer und mit prächtigem Sattelzeug nicht. Der Elefant mit seinem Reiter in der Sänfte hat wohlursprünglich nicht dazugehört; das beweisen die kleinen Proportionen und der Reiter, der ganz und gar holzgeschnitzt ist, also keine textilen Gewänder trägt. Dahinter steht in einem Kreis der Hohe Rat, acht Figuren in leuchtenden Gewändern, Harnischen und Turbanen, die im Auftrag des Königs Herodes beraten, wo der neu geborene König der Juden sein sollte (vgl. Mt 2, 4 – 6).
Aus dem Nadelwalddickicht tritt, ganz in braunen Pelz gekleidet, ein grimmig aussehender Mörder mit krummem Dolch hervor, der von den Einheimischen als Herodes selbst bezeichnet wird; jedenfalls ein Hinweis auf den Kindermord von Betlehem (vgl. Mt 2, 16). Schließlich ist Maria mit dem Kind auf einem Esel zu sehen, und Josef, der das Kind führt. Ihnen weist ein weiterer Engel den Weg nach Ägypten.
Die Hochzeit zu Kana
Die alte Liturgie gedachte am Fest der Erscheinung des Herrn auch der Hochzeit zu Kana; deshalb gehört dieses Szene zu vielen alten Krippen, so auch zu dieser. Es ist eine große Festszene mit einer U-förmigen Festtafel, umgeben von zahlreichen Festgästen, zu denen auch Jesus, seine Mutter Maria und seine Jünger gehören. Die Festtafel ist reichlich gedeckt. Auf zahlreichen Platten liegen die Festgerichte: Krebse, gebratene Keulen, Geflügel, Gemüse, Obst, Brot und Kuchen. Im Vordergrund wird die Verwandlung des Wassers in Wein dargestellt. Die sechs steinernen Wasserkrüge stehen da (einer trägt die Aufschrift „Kana“). Jesus erhebt segnend die Hand, umgeben von Speisemeister und einem Diener, mit einer Flasche in der Hand zum Ausschenken.
Das Haus von Nazaret:
Auch das Leben der hl. Familie vor dem Haus zu Nazaret ist dargestellt. Auf einem Treppenhaus sitzt Maria, die am Spinnrad arbeitet. Josef zimmert auf dem Platz davor Balken und der Jesusknabe, als folgsames Kind, trägt einen Arm voll Brennholz herbei.
Die Darstellung im Tempel:
Der Tempel ist ein großes weißes Gebäude, dessen in der Mitte offene Säulenfront einen Blick ins Innere erlaubt. Da stehen im Innern Maria und Josef, der greise Simeon mit dem Kind auf dem Arm, die Witwe und Prophetin Hanna, ein Priester und Levit, der aus einem dicken, auf einem Stehpult liegenden Buch Psalmen singt. Im Hintergrund ist der Thoraschrein mit den Gebotstafeln zu sehen. Der Tempeleingang wird von zwei großen geharnischten Lanzenträgern bewacht. Davor ist das Markttreiben dargestellt, das an die Austreibung der Händler aus dem Tempel durch Jesus erinnert: Taubenverkäufer, Geldwechsler und eine Frau mit einem Eierkorb. Unter dem Torbogen rechts steht ein riesiger Händler mit einem großen hölzernen Trageseil auf dem Rücken, in dem wohl sortiert eine ganze Palette von Naturprodukten, wie Kartoffeln, Rüben, Zwiebeln, Äpfel, Birnen, ja sogar Zitronen aufbewahrt werden.
Die Einzelfiguren:
Zur Krippe gehören einschließlich der Tiere, etwa 200 Figuren. Die Menschenfiguren sind im Durchschnitt 20 - 25 cm hoch. Sie sind aus Holz geschnitzt und unterschiedlich beweglich. Es gibt Figuren mit Kopf-, Ellbogen-, Hüft- und Kniegelenksscharnieren. Andere haben nur Hüftgelenke, wieder andere sind ganz starr. Bei einem Teil der Figuren ersetzen Drahtstücke die Oberarme und Oberschenkel. Das Aufstellen der Figuren ist oft eine mühselige, diffizile Arbeit. Die Figuren haben nämlich nicht, wie sonst bei Krippenfiguren üblich, eine breite Standfläche, sodass man sie mit einem Griff hinstellen könnte. Vielmehr stehen die Figuren auf sehr kleinen und schmalen Fußsohlen. Diese haben von unten her Löcher, mit denen sie in Nägel gesteckt werden. Diese Nägel müssen zum großen Teil jedes Jahr neu am Standort jeder Figur eingeschlagen und dann zurechtgezwickt werden. Dabei ist es dann noch schwierig, jeder Figur die nötige Standfestigkeit durch richtiges Wählen des Körperschwerpunktes zu geben, indem man die Gelenke richtig zurecht biegt. Das Aufbauen der Krippe besorgen einsatzbereite Helfer des Pfarrortes Neunkirchen. Möge es auch in Zukunft an fachkundigen Betreuern der Krippe nicht fehlen !
Josef Dosch schreibt: „Wenn die Figuren in ihrem Kunstwerk auch nicht alle gleich sind, so ist doch anzunehmen, dass sie alle aus der Werkstatt eines Künstlers stammen. Es liegt nahe anzunehmen, dass die Hauptfiguren von dem Künstler selbst und die Nebenfiguren von seinen Schülern geschnitzt wurden. Insbesondere sind die Figuren der Muttergottes, der drei Könige aus dem Morgenland, der Hirten, der Soldaten, die zum Kindsmord ausgeschickt werden, und die Reiter im Gefolge der drei Könige hervorzuheben. Über die Herkunft der Krippe..... ist nichts Genaues bekannt. Pfarrer Jakob Keller hält es in einem 1930 erschienenen Aufsatz über die Neunkirchener Krippe für möglich, dass die aus dem Heimatland der Krippen, aus Tirol, stammt; doch könnte sie auch ein Münchner Künstler geschaffen haben, zumal Pfarrer Keller bei der Suche nach der Klärung dieser Frage im Bayerischen Nationalmuseum München ähnliche Figuren wie die in Neunkirchen mit der Aufschrift „Münchner Arbeit“ fand“.
Soweit Dosch. Der Verfasser vermutet, dass insbesondere die Gesichtszüge der Soldaten und Reiter auf Eindrücke aus den Türkenkriegen zurück gehen. All dass sind Vermutungen, die erst durch stilkritische Untersuchungen durch Fachleute bestätigt oder widerlegt werden können.
Die Bekleidung der Figuren entspricht ihrem gesellschaftlichen Rang. Es ist klar, dass die textile Bekleidung im Lauf der langen Zeit am meisten gelitten hat. In den vergangenen Jahren wurden beim größeren Teil der Figuren eine möglichst naturgetreue Erneuerung der Bekleidung versucht, bei manchen wurden vorsichtig die Gesichtszüge nachgemalt und insbesondere bei den Tieren wurden abgebrochene Gliedmaßen nachgeschnitzt. Die Neunkirchener Bevölkerung, aber auch einige Gönner und Besucher der Krippe, waren hierfür zu beträchtlichen Spenden bereit. Inzwischen wurde auch der Tempel naturgetreu renoviert.
NB: Der erwähnte Pfarrer Jakob Keller, der 1917 – 1933 Pfarrer in Neunkirchen war und dann die Muttergottespfarrei in Aschaffenburg übernahm, ließ für diese Kirche einen Großteil der Neunkirchener Figuren nachschnitzen.
Entnommen aus: Norbert Schmitt, „Aus Neunkirchens Geschichte“, Beiträge zur Geschichte von Gemeinde und Pfarrei Neunkirchen und ihrer Teile (Neunkirchen 1992, S. 149-154). Dort auch Hinweise auf die von Pfr. N. Schmitt verwendete Literatur.